BVerfG zu ANOM: Vertrauen ohne Kontrolle?

Am 23. September 2025 hat das Bundesverfassungsgericht (2 BvR 625/25) eine Entscheidung von großer Tragweite für die deutsche Strafjustiz getroffen. Es lehnte die Annahme einer Verfassungsbeschwerde gegen die Verwertung von ANOM-Chats in einem Strafverfahren ab. Was unbedeutend klingt ist eine echte Zeitenwende für den Umgang mit digitalen Beweismitteln in diesem Land.

Hinweis: Ich habe bereits auf LinkedIn dazu Kritik verlautbaren lassen und wurde zu einem Kommentar bei Beck.aktuell eingeladen. Beachten Sie auch meine Publikationen in jurisPR-ITR 16/2024 Anm. 4 und jurisPR-StrafR 11/2023 Anm. 4 – vom Bundesgerichtshof zitiert in BGH 1 StR 54/24.
Strafrechtler sollten die gesamten Entwicklungen kritisch begleiten und hinterfragen, wobei auffällt, dass bis auf sehr vereinzelte Stimmen ein einhelliges Echo hinsichtlich dieser Rechtsprechung zu vernehmen ist.

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BGH zur Zueignungsabsicht bei Wegnahme eines Smartphones zur Beweissicherung

Die Frage, wann die Wegnahme eines Smartphones als räuberischer Diebstahl strafbar ist, wenn es gar nicht um das Gerät an sich geht, stellt Gerichte vor Herausforderungen: Besonders problematisch sind Fälle, in denen der Täter das Gerät nicht aus Bereicherungsabsicht entwendet, sondern um darauf gespeicherte Daten zu überprüfen oder zu löschen.

Der Bundesgerichtshof (4 StR 308/25) hat in einem aktuellen Beschluss klargestellt, dass eine Zueignungsabsicht im Sinne des § 252 StGB nicht automatisch vorliegt, wenn das Handy nur zur Beweisführung an sich gebracht wird. Dabei zeigt sich, wie eng die Grenzen zwischen strafbarem räuberischen Diebstahl und bloßer Gebrauchsanmaßung verlaufen.

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Endlose Wartezeit: Wenn die Staatsanwaltschaft Daten jahrelang sichert

Die Digitalisierung hat die Strafverfolgung nachhaltig verändert … wo früher Aktenordner durchforstet wurden, sind es heute Festplatten, Cloud-Speicher und Smartphones, die als Beweismittel im Fokus der Ermittler stehen. Doch mit der technischen Entwicklung wachsen auch die Herausforderungen: Die Auswertung digitaler Datenbestände dauert oft monate- und manchmal sogar jahrelang.

Was aber passiert, wenn die Staatsanwaltschaft Speichermedien über Jahre hinweg sichert, ohne dass eine zügige Auswertung in Sicht ist? Mit dieser Frage hat sich kürzlich das Landgericht Essen (25 Qs-20/25) in einem Beschluss befasst, der für Betroffene von Durchsuchungen von großer Bedeutung ist.

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LG Frankfurt aM zum Nachweis einer Täuschung in Programmierer-Prüfung

Verdächtiger Programmcode: Die Digitalisierung im Unialltag, speziell bei Prüfungen, ist natürlich eine echte Herausforderungen – gerade wenn es darum geht, faire Prüfungsbedinungen zu schaffen und Täuschungsversuche zu unterbinden. Ein besonders brisanter Fall landete im Jahr 2022 vor dem Landgericht Frankfurt am Main (Az. 2-01 S 89/22): Ein Student der Fachrichtung Business Administration hatte eine Online-Klausur im Fach „Introduction to Programming” geschrieben, die von der Hochschule als Täuschungsversuch gewertet und mit null Punkten bewertet wurde.

Der Grund? Der Student hatte in einer Aufgabe exakt das Ergebnis geliefert, das nur dann korrekt gewesen wäre, wenn er verbotene Hilfsmittel genutzt hätte – konkret eine Python-Programmierumgebung. Zur Überprüfung der Eigenständigkeit der Leistungen hatte die Hochschule unsichtbare Zeichen in den Klausurtext eingebaut. Diese führten bei einem Kopieren in ein externes Programm zu einem anderen Ergebnis als die sichtbare Aufgabenstellung. Der Student bestritt, getäuscht zu haben, und klagte auf Neubewertung. Das Landgericht Frankfurt wies die Klage ab und bestätigte damit die Entscheidung der Hochschule. Die Begründung des Gerichts wirft grundsätzliche Fragen auf: Wie weit reicht der Beurteilungsspielraum von Hochschulen bei Verdacht auf Prüfungsbetrug? Und welche Beweisanforderungen gelten, wenn sich ein Student gegen den Vorwurf der Täuschung wehrt?

Der Fall illustriert nicht nur die technischen Möglichkeiten der Betrugserkennung in Online-Prüfungen, sondern auch die rechtlichen Maßstäbe, die Zivilgerichte anlegen, wenn es um die Überprüfung von Prüfungsentscheidungen an privaten Hochschulen geht. Während öffentliche Hochschulen in solchen Fällen oft vor den Verwaltungsgerichten landen, müssen Studierende privater Hochschulen den Zivilrechtsweg beschreiten – mit eigenen Regeln und Hürden. Was das konkret bedeutet, zeigt ein Blick auf die aktuelle Rechtsprechung, die sich in den letzten Jahren zu einem klaren System verdichtet hat.

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Kein Anspruch der Verteidigung auf Aushändigung amtlich verwahrter Beweisstücke

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 24. Juni 2025 (Az. 3 StR 138/25) reiht sich ein in eine Reihe bedeutsamer Klarstellungen zur prozessualen Stellung der Verteidigung im Strafprozess – insbesondere im Umgang mit Beweismitteln. Im Zentrum steht eine ebenso praktische wie grundsätzliche Frage: Darf die Verteidigung ein physisches Beweisstück aus amtlicher Verwahrung herausverlangen, um mit dem Mandanten eigene, unbeaufsichtigte Ermittlungen durchzuführen?

Der BGH hat diese Frage klar verneint. Doch was zunächst formaljuristisch schlicht wirkt, berührt in der Tiefe den sensiblen Bereich der Waffengleichheit, des rechtlichen Gehörs und des Beweiszugangs der Verteidigung – mit erheblichen Auswirkungen auf die Praxis, insbesondere bei digitalen oder sensiblen Beweismitteln.

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Zugriff auf Smartphones durch erzwungene biometrische Merkmale

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit seinem Beschluss vom 13. März 2025 (2 StR 232/24) eine wegweisende Entscheidung zur Zulässigkeit des Zugriffs auf Smartphones durch biometrische Merkmale getroffen. Die Entscheidung schließt sich an erste gerichtliche Entscheidungen und eine kurz aber hitzig geführte Debatte in der Literatur an – und markiert einen Wendepunkt, der ernst zu nehmen ist.

Ich sehe die Entscheidung kritisch und habe dazu bereits einen Kommentar bei Beck-Online publiziert. Auch wenn sich der Fall im Sachverhalt nicht für ernsthaften Streit anbietet, so wurde hier eine wegweisende Weiche gestellt, die Zweifel sähen muss, wie klug es ist, biometrische Merkmale bei seinem Smartphone zu nutzen.

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Gestufte Darlegungslast und Kontrollverlust bei Datenschutzvorfällen

Die gerichtliche Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen nach Art. 82 DSGVO ist für Betroffene von Datenschutzvorfällen mit erheblichen prozessualen Hürden verbunden. Mit seinem Beschluss hat das Oberlandesgericht (OLG, 4 U 1273/24) Dresden klargestellt, wie sich die gestufte Darlegungslast bei der Betroffenheit eines Nutzers von einem Datenleck auf einer Internetplattform ausgestaltet und welche Anforderungen an den Nachweis eines immateriellen Schadens durch Kontrollverlust zu stellen sind – dabei wird klargestellt, dass haveibeenpwned.com eine Hilfe sein kann, was nicht alle Gerichte so sehen.

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Digitale Beweismittel

Digitale Beweismittel: Wie geht man mit digitalen Beweismitteln (richtig) um? Diese Frage ist allgegenwärtig und leider kaum Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen: Es gibt nur eine extrem überschaubare Anzahl von Aufsätzen zum Thema, gerichtliche Entscheidungen sind noch seltener. Dabei drängt sich gerade mit der zunehmenden Digitalisierung des Prozesswesens diese Frage auf.

Vor allem eine Frage ist inzwischen ebenso drängend wie vollkommen aus dem Fokus geraten: Was ist ein digitales Beweismittel? In diesem Beitrag gehe ich auf die wesentlichen Problembereiche rund um digitale Beweismittel ein, ich widme dabei einen wesentlichen Teil meines Alltags rund um technische und rechtliche Fragen von IT-Forensik und digitaler Beweismittel. Inzwischen war ich zum Thema auch zwei Podcasts, die am Ende verlinkt sind! Inzwischen habe ich mehrere Aufsätze zum Thema digitale Beweismittel und IT-Forensik publiziert.

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Heimliche Kameraaufnahmen im Zimmer eines Mitbewohners: OLG Hamm konkretisiert Schutzbereich des § 201a StGB

Mit Beschluss vom 18. März 2025 (Az. 4 ORs 24/25) hat das Oberlandesgericht Hamm ein Urteil des Amtsgerichts Warendorf aufgehoben, in dem ein Angeklagter wegen der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen nach § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt worden war. Die Entscheidung ist wegweisend für das Verständnis des Anwendungsbereichs dieser Strafvorschrift. Sie stellt klar, dass nicht jede heimliche Aufnahme in privaten Räumen automatisch eine strafbare Verletzung der Intimsphäre darstellt. Vielmehr muss ein tatsächlicher Verletzungserfolg vorliegen, der über bloße Beobachtung neutraler Alltagshandlungen hinausgeht.

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EncroChat, Cannabis und die Beweisverwertung nach dem KCanG

In seinem Urteil vom 30. Januar 2025 (Az. 5 StR 528/24) hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Reichweite der Beweisverwertung im Kontext der EncroChat-Kommunikation neu austariert – und dabei nicht nur die Grenzen des nationalen Strafprozessrechts ausgelotet, sondern auch eine unionsrechtliche Neuausrichtung vorgenommen. Der Fall steht exemplarisch für die gegenwärtige Friktion zwischen technologiebasierter Strafverfolgung und rechtsstaatlicher Kontrolle in einem sich wandelnden materiellen Rechtssystem, insbesondere unter dem Eindruck der Neuregelungen durch das Konsumcannabisgesetz (KCanG).

Im Zentrum der Entscheidung stehen zwei Fragen: Zum einen, ob auf EncroChat-Kommunikation gestützte Erkenntnisse auch dann verwertbar sind, wenn die angeklagten Taten – hier: Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge – seit Inkrafttreten des KCanG nicht mehr als Katalogtat im Sinne des § 100b Abs. 2 StPO gelten. Zum anderen, ob die Datenübermittlung durch französische Behörden auf Basis einer Europäischen Ermittlungsanordnung mit dem unionsrechtlichen Maßstab vereinbar ist, wie ihn der Europäische Gerichtshof (EuGH) jüngst formuliert hat.

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