Endlose Wartezeit: Wenn die Staatsanwaltschaft Daten jahrelang sichert

Die Digitalisierung hat die Strafverfolgung nachhaltig verändert … wo früher Aktenordner durchforstet wurden, sind es heute Festplatten, Cloud-Speicher und Smartphones, die als Beweismittel im Fokus der Ermittler stehen. Doch mit der technischen Entwicklung wachsen auch die Herausforderungen: Die Auswertung digitaler Datenbestände dauert oft monate- und manchmal sogar jahrelang.

Was aber passiert, wenn die Staatsanwaltschaft Speichermedien über Jahre hinweg sichert, ohne dass eine zügige Auswertung in Sicht ist? Mit dieser Frage hat sich kürzlich das Landgericht Essen (25 Qs-20/25) in einem Beschluss befasst, der für Betroffene von Durchsuchungen von großer Bedeutung ist.

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Kein Anspruch der Verteidigung auf Aushändigung amtlich verwahrter Beweisstücke

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 24. Juni 2025 (Az. 3 StR 138/25) reiht sich ein in eine Reihe bedeutsamer Klarstellungen zur prozessualen Stellung der Verteidigung im Strafprozess – insbesondere im Umgang mit Beweismitteln. Im Zentrum steht eine ebenso praktische wie grundsätzliche Frage: Darf die Verteidigung ein physisches Beweisstück aus amtlicher Verwahrung herausverlangen, um mit dem Mandanten eigene, unbeaufsichtigte Ermittlungen durchzuführen?

Der BGH hat diese Frage klar verneint. Doch was zunächst formaljuristisch schlicht wirkt, berührt in der Tiefe den sensiblen Bereich der Waffengleichheit, des rechtlichen Gehörs und des Beweiszugangs der Verteidigung – mit erheblichen Auswirkungen auf die Praxis, insbesondere bei digitalen oder sensiblen Beweismitteln.

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Hessendata, Palantir und der digitale Ermittlungsstaat (Update)

Mit Palantir zwischen Effizienzversprechen und Grundrechtsgrenzen: Die Digitalisierung macht vor der Strafverfolgung nicht halt. Mit Systemen wie „Hessendata“, einer auf der Plattform „Gotham“ von Palantir Technologies basierenden Software, sind polizeiliche Ermittlungsbehörden in der Lage, Daten aus verschiedensten Quellen in Sekunden zu durchleuchten, zu verknüpfen und visuell aufzubereiten.

Was früher Tage oder Wochen manueller Recherche erforderte, ist nun mit wenigen Klicks erledigt. Und doch – oder gerade deshalb – stellt sich die Frage: Wie viel algorithmengestützte Ermittlungsarbeit verträgt ein Rechtsstaat? Und wo wird aus Ermittlungsintelligenz Überwachung? Update: Aktuelle Entwicklungen Ende Juni 2025 hinzugefügt.

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Sensorvault: Google und die digitale Rasterfahndung

Ermittlungen im Schatten der Privatsphäre: Die Strafverfolgung im digitalen Zeitalter ist effizienter – aber auch gefährlicher geworden. Denn mit der zunehmenden Datenverfügbarkeit wächst die Versuchung, präventiv auf Massenabfragen zu setzen, anstatt gezielt zu ermitteln. Ein besonders eindrückliches Beispiel hierfür ist Sensorvault, eine von Google betriebene, weitgehend unbekannte Datenbank, die die Grundlage für sogenannte Geofence Warrants bildet – richterliche Anordnungen zur Herausgabe von Standortdaten aller Geräte in einem bestimmten Gebiet zu einem bestimmten Zeitpunkt.

Was auf den ersten Blick wie ein nützliches Werkzeug zur Aufklärung schwerer Straftaten erscheint, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als digitaler Generalverdacht. Besonders brisant: Die Methode wird nicht nur verwendet, um Tatverdächtige zu bestätigen, sondern um sie überhaupt erst zu finden. Der folgende Beitrag beleuchtet die Praxis, die Technik und die rechtlichen wie gesellschaftlichen Implikationen anhand realer US-Fälle.

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Wie Künstliche Intelligenz beim File Carving die digitale Spurensuche revolutioniert

In der modernen Strafverfolgung ist das Dateisystem längst nicht mehr der verlässlichste Zeuge. Wer Spuren verwischen will, löscht Dateien, formatiert Speicher oder verschlüsselt ganze Datenträger. Doch selbst dann bleiben Fragmente zurück – Datenreste, die in den ungenutzten Sektoren einer Festplatte auf ihre Wiederentdeckung warten. File Carving ist die forensische Methode, genau diese digitalen Fossilien auszugraben. Mit Künstlicher Intelligenz wird dieses Puzzlen nun intelligenter – und effizienter. Aber vielleicht auch rechtlich problematischer.

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Digitale Beweismittel

Digitale Beweismittel: Wie geht man mit digitalen Beweismitteln (richtig) um? Diese Frage ist allgegenwärtig und leider kaum Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen: Es gibt nur eine extrem überschaubare Anzahl von Aufsätzen zum Thema, gerichtliche Entscheidungen sind noch seltener. Dabei drängt sich gerade mit der zunehmenden Digitalisierung des Prozesswesens diese Frage auf.

Vor allem eine Frage ist inzwischen ebenso drängend wie vollkommen aus dem Fokus geraten: Was ist ein digitales Beweismittel? In diesem Beitrag gehe ich auf die wesentlichen Problembereiche rund um digitale Beweismittel ein, ich widme dabei einen wesentlichen Teil meines Alltags rund um technische und rechtliche Fragen von IT-Forensik und digitaler Beweismittel. Inzwischen war ich zum Thema auch zwei Podcasts, die am Ende verlinkt sind! Inzwischen habe ich mehrere Aufsätze zum Thema digitale Beweismittel und IT-Forensik publiziert.

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Zulässiges Entsperren eines Smartphones durch erzwungendes Fingerauflegen

Eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Bremen (1 ORs 26/24) zur zwangsweisen Entsperrung eines Smartphones durch Auflegen des Fingers des Beschuldigten auf den Fingerabdrucksensor wird – nicht nur in juristischen Kreisen – für Aufsehen sorgen: Es zeichnet sich zunehmend ab, dass (wenig überraschend) deutsche Gerichte keine Probleme mit der zwangsweisen Entsperrung durch Polizisten mittels Fingerauflegen haben. Betroffene müssen Konsequenzen ziehen.

Kurz: Das OLG Bremen stellte klar, dass die zwangsweise Entsperrung eines Smartphones durch das Auflegen des Fingers des Beschuldigten auf den Fingerabdrucksensor nach § 81b Abs. 1 StPO rechtlich zulässig ist. Es argumentierte, dass die Norm nicht nur die Erhebung, sondern auch die unmittelbare Nutzung biometrischer Merkmale umfasse. Ergänzend führte es aus, dass die Annexkompetenz auch die Anwendung unmittelbaren Zwangs rechtfertige, solange die Maßnahme verhältnismäßig ist und einem legitimen Ziel dient

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EUGH zu Encrochat 2024: Effektive Verteidigung muss in Deutschland sichergestellt sein

Encrochat beim EUGH – die Zeichen stehen auf Wechsel in deutschen Strafprozessen, die Verwertung ist jedenfalls kein Selbstläufer! Heute richtet sich die Aufmerksamkeit der juristischen Welt erneut auf den Europäischen Gerichtshof (EuGH), wo die wegweisende Entscheidung zur Verwertung der EncroChat-Daten in deutschen Strafprozessen verkündet wurde, wobei die Pressemitteilung recht schwammig ist – aber einen wesentlichen und von mir erhofften Aspekt aufgreift:

Das nationale Strafgericht muss in einem Strafverfahren gegen eine Person, die der Begehung von Straftaten verdächtig ist, Beweismittel unberücksichtigt lassen, wenn die betroffene Person nicht in der Lage ist, zu ihnen Stellung zu nehmen, und wenn sie geeignet sind, die Würdigung der Tatsachen maßgeblich zu beeinflussen.

Die Rechtsprechung des EUGH konturiert sich damit, muss aber differenziert betrachtet werden. Wobei ein weiterer Punkt überrascht. Dazu auch der Bericht bei Heise-Online.

Bitte beachten Sie, dass dieser Beitrag sehr zeitnah auf Basis der Pressemitteilung hier im Blog veröffentlicht wurde, um dem Informationsbedürfnis der vielen Betroffenen und hiesigen Mandanten gerecht zu werden. Es wird Tage dauern, bis ich die Entscheidung wirklich vollständig aufgearbeitet habe, sehen Sie daher später noch einmal hier hinein, es wird mit hoher Sicherheit eine tiefergehende Besprechung von mir geben. Rufen Sie nicht an, senden Sie keine Mail, haben Sie Geduld: Qualität braucht Zeit! Beachten Sie auch den LinkedIn-Beitrag dazu.

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EGMR zu Anforderungen an digitale Beweismittel und Kryptomessenger

Während in Deutschland noch gestritten wird, wie man mit digitalen Beweismitteln umzugehen hat – und vor allem, wie damit umzugehen ist, wenn wie bei Encrochat-Verfahren kein Zugriff auf Rohdaten für die Verteidigung besteht, hat sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hier längst postiert.

Besonders das Verfahren Yalçınkaya gegen Türkei spielt hierbei eine erhebliche Rolle: Der EGMR betonte in diesem Verfahren die wachsende Bedeutung elektronischer Beweismittel in Strafverfahren aufgrund der Digitalisierung. Er wies darauf hin, dass solche Beweismittel sich von traditionellen unterscheiden und anfälliger für Manipulationen sind, wodurch Fragen zur Zuverlässigkeit aufkommen. Die Komplexität der Technologie und Verfahren kann die Beurteilung ihrer Echtheit durch Richter erschweren.

Trotz der potenziellen Bedeutung dieser Beweismittel im Kampf gegen organisierte Kriminalität, müssen sie in Übereinstimmung mit den Grundprinzipien eines fairen Verfahrens verwendet werden. Im konkreten Fall betonte der Gerichtshof, dass der Kläger nicht ausreichend Zugang zu den relevanten Daten (speziell den Rohdaten!) hatte und die nationalen Gerichte nicht angemessen auf seine Bedenken reagierten, was die Fairness des Verfahrens infrage stellte. Insbesondere ist es nicht ausreichend, wenn ein Betroffener auf die Auswerteberichte der Ermittler verwiesen wird! Die Verteidigung muss sich also mit dem EGMR nicht darauf verweisen lassen, sich mit den Ermittlungsergebnissen zufriedenzustellen. Sollte es hier zu mangelnder Verteidigungsmöglichkeit kommen, steht vielmehr mit dem EUGH ein Beweisverwertungsverbot im Raum!

In dem weniger beachteten Verfahren Akgün gegen Türkei hat der EGMR darüber hinaus betont, dass alleine die Benutzung eines Kryptomessenger (hier: Bylock) nicht ausreichend ist, um einen Verdacht und damit einen Haftgrund hinsichtlich krimineller Handlungen anzunehmen. Eine Auffassung, die deutsche Gerichte bisher nicht so verinnerlicht haben.

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Künstliche Intelligenz in der Polizeiarbeit verlangt ein Umdenken

Der Einsatz künstlicher Intelligenz im Bereich der Arbeit von Ermittlern findet längst statt, mal unmittelbar als Modellprojekt, mal mittelbar, wenn Unternehmen von sich aus “intelligent” nach Inhalten suchen. Die Frage ist, welche Auswirkungen dies auf den prozessualen Umgang haben soll, mit den Ergebnissen, die solche Techniken zutage fördern.

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