OLG Brandenburg zu Encrochat: Kein Beweisverwertungsverbot

Das OLG Brandenburg (2 Ws 102/21, 2 Ws 94/21, 2 Ws 96/21 und 2 Ws 113/21) hat sich in mehreren Entscheidungen zum Thema Encrochat positioniert und damit klar gestellt, dass die Verwertung von durch die französischen Ermittlungsbehörden im Kontext der Überwachung des Dienstleistungsanbieters für sogenannte Krypto-Handys (EncroChat) durch Entschlüsselung von Chat-Nachrichten gewonnenen Daten keinem Verbot unterliegen.

Das OLG teilt ausdrücklich die hierzu in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertretene und von mir hier im Blog umfangreich geschilderte Auffassung – und folgt ganz ausdrücklich nicht der entgegenstehenden Entscheidung des Landgerichts Berlin, die inzwischen vom KG aufgehoben wurde.

Mangelnde Rohdaten sind kein Problem

Mit das Besondere an Encrochat-Verfahren ist, dass auf Grund von Datenbeständen abgeurteilt wird, die man gar nicht im Original vorliegen hat. Das ist schon insoweit überraschend, als das deutsche Strafprozessrecht hier etwa in §100a Abs.6 StPO klare Vorgaben zur Dokumentation der Erhebung macht. Inzwischen geradezu schockierend ist, wie mit teilweise bedenklichen Formulierungen nur noch verwertet wird, weil man schlicht unerträglich findet, dass man sonst nichts in der Hand hätte.

Diesen Weg geht auch das OLG Brandenburg: Anders als für die Verteidiger ist für das OLG ieine Verwertung der Chat-Daten nicht im Hinblick darauf ausgeschlossen, dass die zugrunde liegenden „Rohdaten“ (bislang) nicht vorliegen, das konkrete (nachrichtendienstliche) Vorgehen bei der Datengewinnung seitens der französischen Ermittlungsbehörden nicht bekannt ist und die Kommunikationsinhalte von den Endgeräten möglicherweise bereits vor einer Versendung entschlüsselt und gesichert wurden:

Die Frage, inwieweit bei dieser Sachlage der Nachweis der Urheberschaft der Daten geführt (Datenauthentizität) und darüber hinaus belegt werden kann, dass die Kommunikationsinhalte und Standortdaten zu beweiserheblichen Umständen nicht durch Übertragungsfehler oder Manipulationen verändert und verfälscht worden sind (Datenintegrität), ist einer einzelfallbezogenen tatgerichtlichen Bewertung zugänglich und obliegt insoweit der Aufklärung und abschließenden Prüfung des Landgerichts im Rahmen der zu treffenden Beweiswürdigung.

Diesbezügliche Einschränkungen hinsichtlich des Beweiswertes der Daten führen insoweit nicht dazu, dass ein generelles Verwertungsverbot anzunehmen wäre. Der Senat teilt die Ansicht der Verteidigung hierzu nicht. Vielmehr ist maßgeblich, dass nach dem gegenwärtigen Ermittlungsergebnis mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass der Angeklagte als EncroChat-Nutzer „k…“ entsprechend und in Übereinstimmung mit den aktenkundigen Datenprotokollen mit den übrigen Tatbeteiligten kommuniziert hat. Die Umstände, die eine Identifizierung des Angeklagten als Urheber der Nachrichten ermöglichen, sind in der Anklageschrift zutreffend dargestellt (S. 17-19). Der Senat teilt im Übrigen die Auffassung der Kammer, dass auch im Hinblick auf die aus den Protokollen ersichtliche Kommunikation der Beteiligten miteinander nach derzeitigem Kenntnisstand nicht plausibel ist, dass der Kommunikationsaustausch nicht im Wesentlichen so stattgefunden hat, wie er dokumentiert ist. Dass die den Betäubungsmittelhandel konkret betreffenden Interaktionen zwischen dem Angeklagten und den weiteren Tatbeteiligten auf durch Übertragungsfehler entstandenen Verfälschungen beruhen sollen, liegt nach derzeitigem Erkenntnisstand fern.

Auch wenn die Daten auf den Endgeräten zu einem Zeitpunkt entschlüsselt und gesichert wurden, bevor es zum Versand gekommen ist, spricht aufgrund der einen wechselseitigen Austausch von Mitteilungen beinhaltenden Chatverläufe nichts dafür, dass die Nachrichten gar nicht versandt wurden. Ebenso sind gegenwärtig keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass das die Zusammenstellung des Datenmaterials auf bewussten Manipulationen und absichtlichen Fälschungen beruhen könnte und dem Ganzen ein groß angelegter Komplott zugrunde liegt.

Deutsche Gerichte sind hier schlicht blind – und zu Technik-gläubig – als dass sie die wesentlichen Probleme erkennen. Es geht nicht darum, ob überhaupt kommuniziert wurde, sondern dass wenn etwa Mengeneinheiten eine Rolle spielen, es ohne die gesamten Daten im Original nicht realistisch möglich ist, zu bewerten, ob es um Gramm oder Kilogramm geht; insbesondere Chat-Verläufe – so erkläre ich es regelmäßig in meinen Vorträgen zum Cybercrime – erhalten durch das Weglassen nur einzelner Stränge ganz massiv andere Bedeutung. Nicht zuletzt in einem Umfeld, wo ohnehin nicht übliche metrische Bezeichnungen verwendet werden, sondern Kürzel oder Codes, die man dann ohnehin auslegen muss.

Verstoß gegen deutsche Rechtsgrundsätze ist unbeachtlich

Nur noch schockierend ist, wie deutsche OLG willfährig bei der Umgehung der StPO helfen: Dass – unstreitig! – die Anordnung der von den französischen Behörden durchgeführten Ermittlungsmaßnahmen nach bisherigem Erkenntnisstand nicht den Anforderungen zu genügen scheint, die nach deutschem Recht an eine Überwachung des internetbasierten Datenaustausches und der Telekommunikation zu stellen wären, verbietet auch für das OLG Brandenburg nicht die Verwertung der hieraus gewonnenen Erkenntnisse:

Dabei ist auf der einen Seite zu berücksichtigen, dass zwar entsprechend der deutschen Rechtsordnung im Hinblick auf die hiermit verbundenen Eingriffe in Grundrechte (…) eine Überwachung nur aus Anlass eines konkreten Geschehens und gegen bestimmte Beschuldigte bei Vorliegen eines qualifizierten Verdachtes erlaubt, eine verdachtslose Überwachung der Kommunikation dagegen grundsätzlich unzulässig ist (…). Dass entsprechende in Frankreich angeordnete und gerichtlich beschlossene Ermittlungsmaßnahmen, denen nach derzeitigen Erkenntnissen zunächst anscheinend nicht in jedem Einzelfall ein konkret gegen bestimmte Personen begründeter Verdacht der Begehung schwerwiegender Straftaten zu Grunde lag, in Deutschland so nicht hätten veranlasst werden dürfen, begründet dabei jedoch in der Gesamtschau der hierbei zu würdigenden Umstände noch kein Beweisverwertungsverbot, denn eine Verletzung allgemeiner rechtsstaatlicher und völkerrechtlicher Grundsätze, gemessen u.a. an Art. 6 Abs. 1 EMRK und dem ordre public, liegt nicht vor.

Natürlich verstehen die braven Bürger als Laien noch nicht, was hier genau passiert; dabei geht es Verteidigern nicht darum, dass Schuldige vor dem Gefängnis bewahrt werden – diese im Tatort bis heute vermittelte Mentalität ist etwas für die Vorstellungskraft kindlicher Gemüter, aber nicht mehr. Es geht darum, dass hier bundesweit durch OLG festgezimmert wird, dass sich Ermittler in Europa die Rechtsgrundlagen unkontrolliert zusammen suchen können, die sie gerade brauchen. Und während wir in Deutschland ohnehin schon eine nahezu allmächtige Staatsanwaltschaft haben, die wenigstens noch einen Verdacht für einschneidende Ermittlungsmaßnahmen braucht, dürfen Ermittler nun auf Datensätze aus dem EU-Ausland zugreifen, wo unstreitig Verdachtsunabhängig überwacht werden kann – und man kontrolliert nicht einmal den Datenfluss. Was das als Entwicklung von Ermittlungsverfahren für die nächsten Jahre bedeutet sollte auf der Hand liegen.

Das Rennen wird woanders entschieden

Ich denke nicht, dass man aktuell bei Landgerichten oder OLG irgendetwas erreicht, Verteidiger sollten hier auch nichts (vollmundig) versprechen. Der BGH, der fleißig mitgeholfen hat, Beschuldigtenrechte in den letzten 20 Jahren massiv abzubauen, dürfte auch wenig Erfolg versprechen. In vielen Jahren dürften wir vielmehr mit Spannung zu erwarten haben, was BVerfG und EGMR dazu sagen, wenn undokumentiert und nicht nachvollziehbar digitale Beweismittel grenzüberschreitend Anwendung finden.

Rechtsanwalt Jens Ferner (IT-Fachanwalt & Strafverteidiger)

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Rechtsanwalt Jens Ferner (IT-Fachanwalt & Strafverteidiger)

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht mit einem Faible für Cybercrime, IT-Forensik, Cybersecurity und digitale Beweismittel.