Ermittler dürfen Auskunft über PKW-Daten in Echtzeit einholen – hier: GPS-Daten

Dass Kraftfahrzeuge ein heiß begehrtes Ermittlungsobjekt sind, muss teilweise noch in das Bewusstsein gelangen. Die „fahrenden Computer“ mit Ihrer Vielzahl an Sensoren sind eine Goldgrube nicht nur für Ermittlungen nach Unfällen, sondern auch für laufende Überwachungen. Das OLG Frankfurt (3 Ws 369/21) konnte sich insoweit zum Anzapfen eines PKW-Dienstes durch Ermittler (hier: „Mercedes-me-connect“-Dienst) äußern, die so Zugriff auf GPS-Daten erlangt haben.

Hinweis: Die Problematik ist erschreckend wenig verbreitet, ich bin zuletzt in meinen Cybercrime-Vorträgen ebenso wie nun in der nächsten Auflage der Beck-OK-StPO-Kommentierung hierauf eingegangen. Die vorliegende Entscheidung zeigt dabei, wie falsch auch ein Oberlandesgericht liegen kann, das sich aus meiner Sicht auch nicht mit der Fassung der früheren Gesetzeslage entschuldigen kann. Und zeigt dabei zugleich, wie gefährlich zweckorientierte gerichtliche Entscheidungen sein können.

Vollüberwachter PKW

Der Sachverhalt ist einfach: Jemand ist auf der Flucht und es bestanden Anhaltspunkte, dass er einen bestimmten PKW nutzt, der ständig mit dem Server des Herstellers Daten austauscht, es ging dabei laut OLG um den „Mercedes-me-connect“-Dienst. Der Entscheidung ist zu entnehmen, welche Daten ausgetauscht werden, wobei man sich fragen mag, ob das noch Service oder schon Horrorfilm ist:

Das Fahrzeug sendet u. a. GPS-Positionsdaten an einen Server, auf dessen Daten eine Konzerntochter der X AG zugreift. Das Fahrzeug ist nämlich mit dem „Mercedes-me-connect“-Dienst verbunden, der seitens des Herstellers zunächst kostenfrei und anschließend, jedenfalls hinsichtlich eines Teils der Leistungen, gegen die Zahlung einer regelmäßigen Gebühr überlassen wird.

Im Rahmen dieses Dienstes werden über eine festverbaute SIM-Karte eine Fülle von Daten an einen Server übermittelt. Damit werden vielfältige Funktionen eines „Multi-Media-Systems“ ermöglicht, wie etwa die Übermittlung von aktuellem Fahrzeugstandort, Kilometerstand, Reifendruck oder Kraftstoffstand an den Server, aber auch an ein vom Nutzer bezeichnetes Handy; auf diesem Weg kann der Berechtigte sein Fahrzeug orten, ein Notrufsystem kommuniziert nach einem Unfall automatisch mit einem Rettungsteam und übermittelt Standortdaten, es wird die Türfernschließung und -entriegelung ermöglicht, die Standheizung kann per Handy geregelt werden, es werden Live Traffic Informationen an den Fahrer übermittelt und dazu über den Server auch eine „Car-to-Car Communication“ betrieben, bei der die Fahrzeuge untereinander Daten zum Verkehrsfluss austauschen; außerdem erlaubt der Dienst ein mobiles Musik-Streaming. Auch Details wie das, ob der Beifahrerplatz belegt ist, sollen an den Server mitgeteilt werden. Zentrale der angebotenen Dienste, wie etwa die Ortung und die Navigationsdienste, können nicht angeboten werden, ohne dass das Fahrzeug seine GPS-Daten ermittelt und an den Server überträgt. 


Nur am Rande sei angemerkt, dass man sich auf der Zunge zergehen lassen sollte, dass wir in einer Zeit leben, in der Menschen für diese Totalüberwachung auch noch Geld zahlen.

Telekommunikationsdienst oder Telemediendienst?

Wenn Ermittler hierauf nun Zugriff wünschen, braucht man eine Ermächtigungsnorm – und da hat man sich schnell §100k StPO herausgesucht. Mit diesem kann auf Nutzungsdaten eines Telemediendienstes zugegriffen werden. Zu klären ist aber, ob vorliegend überhaupt ein Telemediendienst betroffen ist – oder nicht vielmehr ein Telekommunikationsdienst.

Um die Thematik im Lichte der OLG-Entscheidung zu verstehen, muss man wissen, dass Entscheidungsdatum der 20.07.2021 war und erst im Dezember das neue TKG und TTDSG in Kraft getreten sind, das TMG aber fortgilt (ausgenommen die Bestandteile, die ins TTDSG gewandert sind).

OLG: Fahrzeugdienst ist Telemediendienst

Dass OLG Frankfurt führt nun aus, dass es sich beim Mercedes-me-connect-Dienst um einen Telemediendienst im Sinne von § 100k StPO handelt:

§ 100k StPO verweist auf das TMG. Das TMG enthält in § 1 Abs. 1 Satz 1 eine, wenn auch negativ gefasste, Legaldefinition der Telemedien. Danach geht es um „alle elektronischen Informations- und Kommunikationsdienste, soweit sie nicht Telekommunikationsdienste nach § 3 Nr. 24 TKG, die ganz in der Übertragung von Signalen über Telekommunikationsnetze bestehen, telekommunikationsgestützte Dienste nach § 3 Nr. 25 des TKG oder Rundfunk nach § 2 des Rundfunkstaatsvertrages“ sind. Um einen solchen Dienst handelt es sich hier. Denn der Mercedes-me-connect-Dienst ist ein „elektronischer Informations- und Kommunikationsdienst“ und es greift keine der in § 1 Abs. 1 Satz 1 TMG geregelten Ausnahmen ein.

Wenn das TMG von „allen elektronischen Informations- und Kommunikationsdiensten“ spricht, ist dieser Begriff ersichtlich weit gefasst. Es liegt nahe, einen Dienst wie den Mercedes-me-connect-Dienst unter diesen weiten Begriff zu fassen und ihn insbesondere als Informationsdienst in diesem Sinn zu verstehen. Denn es handelt sich um einen Dienst, bei dem Informationen elektronisch vom Fahrzeug zum Server übermittelt und anschließend, darauf gestützt, dem Fahrer bzw. Handynutzer, ebenfalls elektronisch gestützt, sinnlich wahrnehmbare Informationen, etwa zur Position seines Fahrzeugs und zur darauf gestützten Navigation, übermittelt werden.

Der Einordnung des Mercedes-me-Connect-Dienstes als eines „elektronischen Informations- und Kommunikationsdienstes“ im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 1 TMG kann auch nicht etwa entgegengehalten werden, dass es sich bei diesem Dienst um sogenannte Machine-to-Machine Kommunikation handele, auf die § 1 TMG und § 100k StPO nicht anwendbar seien. Zwar ist im Zusammenhang mit der Anwendbarkeit von §§ 100a, 100g StPO erwogen worden, ob die diesbezüglichen Vorschriften eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für Eingriffe in eine reine Machine-to-Machine-Kommunikation bilden könnten (…)

Die Entscheidung verwunderte mich beim Lesen durchweg, weswegen ich mir sehr viel Zeit gelassen habe, bis ich sie hier nun erstmals bespreche und dann noch später erst in die StPO-Kommentierung aufnehmen werde: Jedenfalls ich habe den Eindruck, das OLG versucht StPO-Erwägungen in die Differenzierung der Frage „Telekommunikationsdienst oder Telemediendienst?“ einfließen zu lassen. Dabei findet nirgendwo die verfassungsgerichtliche Erwägung eine Rolle, dass bei Zugriff auf solche Daten im Zuge des Bildes einer Doppeltüre agiert werden muss (weswegen man zum einen in der StPO Ermächtigungsgrundlagen findet, passend dazu dann im TKG/TTDSG Zugriffsregelungen).

Was auf den ersten Blick „doppelt gemoppelt“ aussieht ist tatsächlich verfassungsrechtlich vorgegeben. Und die – auch im Meyer-Goßner – aufgeworfene Frage löst sich alleine auf Ebene TKG/TMG und heute TTDSG. Während die StPO schlicht auf die Normen in den Kommunikationsgesetzen verweist ist die Differenzierung der Dienste dann auf dieser Ebene zu lösen.

Gesetzeslage heute: Fahrzeugdienst ist Telekommunikationsdienst

Mit der heutigen Gesetzeslage ist es deutlich einfacher: Lange war die Einstufung von neuartigen Diensten wie OTT-Diensten umstritten, wobei die Rechtsprechung am Ende sehr deutlich solche Dienste dem TKG unterworfen hat (auch den sich hier aufdrängenden Vergleich zu M2M-Kommunikation zieht das OLG nicht); heute aber ist §3 Nr.61 Ziff. 3 TKG unmissverständlich klargestellt, dass es sich bei Maschine-Maschine-Kommunikation um einen Telekommunikationsdienst handelt. Damit sind dann abschließend die §170 ff. TKG einschlägig und gerade nicht die §§21 ff. TTDSG.

Ich bin auch weiterhin maximal irritiert von den Ausführungen des OLG, die mit sämtlicher Rechtsprechung des letzten Jahres, bis hin zum EUGH, kaum in Einklang zu bringen ist.

Zugriff auf Ortungsdaten

Das Besondere, die exquisite Feinheit, in der ganzen Sache ist der Zugriff auf die Ortungsdaten: Wenn Ermittler auf solche Dienste Zugriff nehmen, können sie im Extremfall jegliche Bewegung einer Person ohne Aufbauen von Nähe nachvollziehen. Wenn man hier nun den Weg über 100k StPO geht, der den Dienst als Telemediendienst einstuft, ist es deutlich leichter, Zugriff auf Bewegungsdaten zu nehmen, wie auch das OLG erkannt hat:

Aber auch bei den dem angefochtenen Beschluss zufolge herauszugebenden GPS-Daten handelt es sich um Daten, auf die § 100k StPO Anwendung findet.

Dafür spricht bereits der Wortlaut des § 15 TMG, auf den § 100k Abs. 1 Satz 1 StPO verweist. Nach § 15 Satz 1 TMG sind Nutzungsdaten solche, die erforderlich sind, um die Inanspruchnahme von Telemedien zu ermöglichen und abzurechnen. Die Inanspruchnahme des Mercedes-me-connect-Dienstes setzt aber die Erhebung von GPS-Daten voraus. Zentrale Dienste, etwa der Navigation und der Ortung, könnten ohne GPS-Daten nicht angeboten werden.

Zudem sprechen der Wortlaut des § 100k Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 StPO für eine Einbeziehung von GPS-Daten. Denn dort werden „Standortdaten“ ausdrücklich erwähnt. Standorte können aber sowohl über Funkzellen Abfragen als auch über GPS-Daten erhoben werden. Eine Einschränkung des Begriffs der Standortdaten (entweder auf GPS-Daten oder) auf Funkzellenstandorte lässt sich dem Wortlaut des Begriffs nicht entnehmen. Es entspräche auch nicht dem Sinn und Zweck der in § 100k StPO geregelten Ermächtigungsgrundlage, den Begriff der Standortdaten entweder auf Funkzellenstandorte oder auf GPS-Daten zu beschränken. Standortdaten sind gleichermaßen sensibel und schützenswert ohne dass es diesbezüglich darauf ankommen könnte, ob sie über eine Funkzellenabfrage oder über GPS ermittelt werden. Auch der historische Aspekt, dass es sich bei dem in § 100g StPO verwendeten Begriff der Standortdaten bislang eher um Funkzellenangaben gehandelt haben dürfte, während GPS-Daten möglicherweise nicht nur exakter sind, sondern eventuell auch eine Nachverfolgung im Ausland leichter ermöglichen, steht der hier vertretenen Auslegung angesichts des Wortlauts und des Zwecks der Vorschrift nicht entgegen. Es ist weder ersichtlich, dass eine Beschränkung des Begriffs der Standortdaten auf Funkzellenstandorte sachgerecht wäre noch dass der Gesetzgeber dem weiten Wortlaut zuwider dergleichen intendiert hätte.

Diese Argumentation lässt sich auch heute noch vertreten: Die Definition der Nutzungsdaten in §2 Abs.2 Nr.3 TTDSG ist derart weitreichend, dass durchaus auch GPS-Daten erfasst sein werden. Wenn man dann noch in den Blick nimmt, dass für die Auskunft nach §24 Abs.2 S.2 TTDSG sämtliche unternehmensinternen Quellen zu berücksichtigen sind, gibt es kaum einen Grund, laufend übermittelte GPS-Daten nicht zu beauskunften.

Das dürfte auch genau der Grund sein, warum das OLG unbedingt dieses Ergebnis „wollte“. Wenn man einen Telemediendienst richtigerweise ablehnt, kommen nämlich ganz andere Ergebnisse.

Kein Zugriff auf Ortungsdaten mit dem TKG

Da der §100k StPO speziell für den Zugriff auf Telemediendienste geschaffen wurde, kommt er nicht mehr zum Zuge, wenn man einen Telekommunikationsdienst im Sinne des TKG erkennt. Dann ist nämlich zu sehen, dass (wenn man das Pferd von hinten aufzäumt) im hier einschlägigen manuellen Auskunftsverfahren nur die in §174 Abs.1 S.1 TKG benannten Bestandsdaten und Daten nach §172 TKG betroffen sind. Bewegungs- oder Ortsdaten sucht man da vergeblich.

Nun ergibt sich auch ein klares Bild, denn wenn man nun auf die andere Seite der Doppeltüre geht, findet man für einen Fall wie dem vorliegenden, wo eine SIM-Karte zum Einsatz kommt und das Auto ein Kommunikationsendgerät ist, die richtige Norm zur Aufenthaltsbestimmung in §100i StPO und ansonsten, da es sich um Verkehrsdaten im Sinne des §100g StPO handelt die man live “mithören“ möchte, landet man in der Telekommunikationsüberwachung des §100a StPO. Und da man hier schlicht einen Flüchtigen suchte und gerade keine weiteren Straftaten aufklärte, muss man schon die Frage in den Raum stellen, ob der Zugriff auf die Daten, als schlichte Fahndungsmaßnahme, überhaupt rechtmäßig erfolgt ist – der Tatbestand gibt das nämlich nicht her.

Fazit: eine Warnung an Bürger und Unternehmen

Die Entscheidung ist nur auf den ersten Blick zugänglich und einfach schlecht. Dabei haben die OLG-Richter hier vollkommen aus dem Auge verloren, dass es um keine schlichte Formalie geht, sondern gerade in der modernen Welt eine TK-Überwachung eine allumfassende Überwachung darstellt. Genau darum hat das BVerfG dem Gesetzgeber klare Vorgaben gemacht und genau darum ist es eben nicht „einfach so“ möglich, Daten wie GPS-Bewegungsdaten ohne Aufklärung schwerer Straftaten abzufragen. Man muss dankbar sein, dass der Gesetzgeber in der Reform des TKG diesen Teil unmissverständlich geklärt hat, als er die M2M-Kommunikation ausdrücklich dem TKG unterworfen hat.

Denn: Würde diese Entscheidung Schule machen, ergäben sich höchst unerfreuliche Effekte. So sehen viele Polizeigesetze den Zugriff auf Telemediendienste nach dem Vorbild des 100k StPO zur Gefahrenabwehr vor (in NRW etwa in §20a PolG NRW). Das bedeutet, wie im schlimmst-vorstellbaren dystopischen Szenario eines Überwachungsstaates könnte jede Polizei (ohne richterlichen Beschluss!) auf jegliches Bewegungsmuster zugreifen. Wie man als OLG die Tragweite solcher Entscheidungen vor dem klaren verfassungsrechtlichen Hintergrund verkennen kann, hinterlässt mich bis heute fassungslos. Denn der Zweck heiligt eben nicht immer die Mittel, auch und gerade wenn es um die Verfolgung von Straftätern geht.

Rechtsanwalt Jens Ferner (IT-Fachanwalt & Strafverteidiger)

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Rechtsanwalt Jens Ferner (IT-Fachanwalt & Strafverteidiger)

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht mit einem Faible für Cybercrime, IT-Forensik, Cybersecurity und digitale Beweismittel.