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EncroChat, Cannabis und die Beweisverwertung nach dem KCanG

In seinem Urteil vom 30. Januar 2025 (Az. 5 StR 528/24) hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Reichweite der Beweisverwertung im Kontext der EncroChat-Kommunikation neu austariert – und dabei nicht nur die Grenzen des nationalen Strafprozessrechts ausgelotet, sondern auch eine unionsrechtliche Neuausrichtung vorgenommen. Der Fall steht exemplarisch für die gegenwärtige Friktion zwischen technologiebasierter Strafverfolgung und rechtsstaatlicher Kontrolle in einem sich wandelnden materiellen Rechtssystem, insbesondere unter dem Eindruck der Neuregelungen durch das Konsumcannabisgesetz (KCanG).

Im Zentrum der Entscheidung stehen zwei Fragen: Zum einen, ob auf EncroChat-Kommunikation gestützte Erkenntnisse auch dann verwertbar sind, wenn die angeklagten Taten – hier: Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge – seit Inkrafttreten des KCanG nicht mehr als Katalogtat im Sinne des § 100b Abs. 2 StPO gelten. Zum anderen, ob die Datenübermittlung durch französische Behörden auf Basis einer Europäischen Ermittlungsanordnung mit dem unionsrechtlichen Maßstab vereinbar ist, wie ihn der Europäische Gerichtshof (EuGH) jüngst formuliert hat.

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BGH zur Verwertbarkeit von ANOM-Daten

Mit Urteil vom 9. Januar 2025 (1 StR 54/24) hat der Bundesgerichtshof eine bemerkenswert weitreichende Entscheidung zur Verwertbarkeit digitaler Kommunikationsdaten aus internationalen Ermittlungskooperationen getroffen. Gegenstand waren Chatnachrichten aus der „ANOM“-Operation – einem vom FBI initiierten Undercoverprojekt, bei dem manipulierte Kryptohandys an mutmaßliche Mitglieder krimineller Netzwerke verteilt wurden. Die über diese Geräte geführten Gespräche waren für die US-Behörden einsehbar, wurden aus einem europäischen Drittstaat übermittelt und gelangten schließlich auch zu deutschen Strafverfolgungsbehörden.

In dem Verfahren ging es um umfangreichen Drogenhandel. Der Angeklagte wurde in erster Instanz vom Landgericht Tübingen in 35 Fällen wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt. In neun dieser Fälle stützte sich die Beweisführung auf ANOM-Daten. Die Revision rügte unter anderem die Verletzung von § 261 StPO wegen eines behaupteten Beweisverwertungsverbots. Der Bundesgerichtshof sah darin jedoch keinen durchgreifenden Einwand – und bekräftigte die Zulässigkeit der Nutzung solcher Daten im Strafverfahren.

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Beweissicherung versus Datenschutz: Unzulässigkeit der Aufbewahrung privater Videoaufnahmen im Nachbarschaftsstreit

Die Frage, wann private Foto- oder Videoaufnahmen im zivilrechtlichen Kontext datenschutzrechtlich zulässig sind, beschäftigt die Gerichte regelmäßig – nicht zuletzt seit Inkrafttreten der DSGVO. Das Urteil des Amtsgerichts Lörrach vom 3. März 2025 (Az. 3 C 1099/24) ist in dieser Hinsicht von besonderem Interesse: Es stellt klar, dass selbst ein nachvollziehbares Interesse an Beweissicherung im nachbarschaftlichen Umfeld nicht jede Datenverarbeitung rechtfertigt. Entscheidend ist vielmehr die Erforderlichkeit der Datenverarbeitung – und diese kann objektiv fehlen, selbst wenn subjektiv ein Konflikt vorliegt.

Das Gericht stellt dabei hohe Anforderungen an die Zulässigkeit privater Überwachungshandlungen und betont zugleich die gerichtliche Kontrollkompetenz hinsichtlich der behaupteten Indizqualität solcher Aufnahmen. Das Urteil zeigt exemplarisch, wie sich der datenschutzrechtliche Grundsatz der Datenminimierung auch im Spannungsfeld privater Rechtsdurchsetzung behauptet.

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Aus Themse geborgenes iPad liefert Beweise

Digitale Beweismittel zwischen Science-Fiction und Strafprozess: Ein verkrustetes iPad, vergraben im Schlick des Londoner Themseufers, liefert den entscheidenden Hinweis zur Aufklärung eines beinahe perfekten Mordkomplotts. Was wie der Einstieg in einen Roman von William Gibson klingt, ist Realität – und zugleich Lehrstück für den Umgang mit digitalen Spuren im Strafverfahren.

Im Mittelpunkt dieses fast filmreifen Falls von dem die Metropolitan Police berichtet: Drei international agierende Kriminelle, eine versuchte Exekution im East End, ein spektakulärer Kunstraub in der Schweiz – und ein iPad, das fünf Jahre lang unter Wasser lag und dennoch zu einem der wichtigsten Beweismittel avancierte.

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Auskunftspflicht von E-Mail-Dienstleistern bei anonymen Online-Bewertungen

In einer grundlegenden Entscheidung vom 19. Februar 2025 (Az. 25 O 9210/24) hat das Landgericht München I über die Frage entschieden, ob ein Anbieter von E-Mail-Diensten dazu verpflichtet ist, Auskunft über Bestandsdaten von Nutzern zu erteilen, deren E-Mail-Adressen mit anonymen, möglicherweise rechtsverletzenden Online-Bewertungen in Verbindung stehen.

Der Beschluss behandelt nicht nur die dogmatische Reichweite des neuen § 21 TDDDG, sondern stellt auch klar, dass der Auskunftsanspruch nicht davon abhängig ist, ob die inkriminierte Äußerung über den Dienst des Auskunftspflichtigen selbst verbreitet wurde. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob der datenschutz- und meinungsrechtlich heikle Anspruch auf Entanonymisierung bei digitalen Kettenbeziehungen greift – und unter welchen Voraussetzungen ein solcher Eingriff in die Sphäre der Nutzer gerechtfertigt ist.

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Meinungsfreiheit in den USA: Meinungsdelikte bei US-Einreise im digitalen Gepäck?

Die USA, Smartphones und der stille Export des Überwachungsstaates: Einreise verweigert – wegen eines falschen Tweets? Was noch vor wenigen Jahren wie paranoide Science-Fiction klang, scheint in der Praxis der US-Grenzbehörden längst angekommen zu sein: Wer in die Vereinigten Staaten reisen möchte, sollte besser zweimal überlegen, was auf dem Smartphone gespeichert ist – oder je gesagt wurde. Denn offenbar reichen schon kritische Meinungsäußerungen, um den Eintritt ins „Land der Freien“ zu verweigern.

Zwei aktuelle Fälle verdeutlichen diese Entwicklung exemplarisch:

  • Die deutsche Studentin Celine Flad wurde bei der Einreise in Newark festgesetzt, stundenlang befragt, inhaftiert, ihr Smartphone intensiv durchsucht – obwohl man offenbar nichts Belastbares fand. Nach 24 Stunden Abschiebung. Begründung? Keine.
  • Ähnlich gespenstisch ist der Fall eines französischen Wissenschaftlers, dem die Einreise zu einer Fachkonferenz verweigert wurde. Grund: Auf seinem Handy fanden sich Nachrichten, in denen er die Wissenschaftspolitik der Trump-Administration kritisch kommentierte. Die US-Behörden warfen ihm gar „Hassrede“ und potenziell „terroristische“ Inhalte vor – allein auf Basis von privaten Gesprächen.
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Car-Forensik: Zugang zu OBD-Daten und Wettbewerbsrecht

Die Automobilbranche befindet sich in einem Wandel, der längst nicht nur technologische, sondern auch rechtliche Fragen aufwirft. Ein zentrales Thema ist der Zugang zu den sogenannten OBD-Daten (On-Board-Diagnose), die für Reparaturen und Wartungsarbeiten essenziell sind. Wer diese Daten auslesen und verändern darf, hat erhebliche Auswirkungen auf den Wettbewerb zwischen Fahrzeugherstellern und unabhängigen Werkstätten.

Das Oberlandesgericht Köln hat mit Urteil vom 17. Januar 2025 (Az. 6 U 58/24) entschieden, dass ein Fahrzeughersteller den Zugriff auf OBD-Daten nicht durch eine verpflichtende Anmeldung auf einem eigenen Server oder durch eine durchgehende Internetverbindung beschränken darf. Die Entscheidung hat weitreichende Bedeutung, da sie den Zugang unabhängiger Werkstätten zu Diagnosedaten stärkt und die Regulierung von digitalen Schnittstellen im Fahrzeugmarkt neu ordnet.

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Beschlagnahme digitaler Beweismittel in der Arztpraxis

Die fortschreitende Digitalisierung verändert nicht nur Geschäftsmodelle und private Lebensbereiche, sondern stellt auch die Strafverfolgungsbehörden vor neue Herausforderungen – und die Bürger. Insbesondere die Beschlagnahme digitaler Beweismittel wirft schwierige Fragen hinsichtlich des Umfangs, der technischen Machbarkeit und der rechtlichen Grenzen auf, weswegen ich mich dieses Themas immer wieder annehme. Ein aktueller Fall macht nun deutlich, wie aggressiv teilweise Daten erhoben werden.

Mit seinem Beschluss vom 27. Januar 2025 (Az. 12 Qs 60/24) hat das Landgericht Nürnberg-Fürth die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit bei der Sicherstellung digitaler Daten geschärft. Im Mittelpunkt stand die vollständige Spiegelung einer virtuellen Maschine mit sämtlichen Patientendaten einer Arztpraxis. Während das Amtsgericht Nürnberg die Maßnahme zunächst gebilligt hatte, kassierte das Landgericht die Entscheidung mit der Begründung, dass der Zugriff weit über das erforderliche Maß hinausgehe.

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Durchsuchung und Beschlagnahme elektronischer Daten: Verhältnismäßigkeit als Grenze staatlicher Eingriffe

Eine Entscheidung des Landgerichts München I vom 18. Dezember 2024 (19 Qs 24/24) setzt – endlich noch einmal – ein klares Signal für die Bedeutung der Verhältnismäßigkeit bei strafprozessualen Maßnahmen. Konkret ging es um die Durchsuchung und Beschlagnahme elektronischer Datenspeicher im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen versuchter Erpressung. Das Gericht stellte fest, dass die Maßnahme unverhältnismäßig war und hob die entsprechenden Beschlüsse auf.

Diese Entscheidung ist von grundsätzlicher Bedeutung, da sie die verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Zugriff auf digitale Datenbestände im Strafverfahren betont. Besonders relevant sind dabei die Grundrechte auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) und informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), die staatlichen Maßnahmen enge Grenzen setzen.

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Künstliche Intelligenz in der Verbrechensbekämpfung

Die Integration von Künstlicher Intelligenz (KI) in die Verbrechensbekämpfung ist längst keine Zukunftsvision mehr: Internationale Strafverfolgungsbehörden setzen zunehmend auf KI-Technologien, um riesige Datenmengen zu analysieren, verdächtige Muster zu identifizieren und operative Entscheidungen zu optimieren.

Insbesondere Europol und Eurojust haben in aktuellen Berichten betont, dass KI nicht nur die Effizienz der Ermittlungsarbeit steigern, sondern auch völlig neue Möglichkeiten der Strafverfolgung eröffnen kann. Doch dieser Fortschritt bringt auch erhebliche rechtliche und ethische Herausforderungen mit sich, die es zu bewältigen gilt.

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