Wer als Rechteinhaber Urheberrechte an einer Software hat und sich mit einer vermeintlichen Rechtsverletzung konfrontiert sieht, kann zur Klärung, ob wirklich eine Rechtsverletzung vorliegt, Einblick in den Quelltext der Software des Verletzers nehmen. Dies im Zuge eines „Besichtigungsrechts“, das im BGB seit jeher im Sachenrecht existiert. Dabei stellt sich die Frage, wie die Einsichtnahme in das digitale Beweismittel Quelltext stattzufinden hat.
Quelltext als digitales Beweismittel
Wenn ein elektronisches Dokument Gegenstand des Beweises im Zivilprozess ist, wird der Beweis durch Vorlegung oder Übermittlung der Datei angetreten (§ 371 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
Wenn ein Augenschein nicht von Amts wegen gem. § 144 ZPO angeordnet wird, ist er durch Benennung von Thema und Objekt zu beantragen:
- Die Angabe eines Beweisthemas ist erforderlich, weil sonst eine Abgrenzung zur unzulässigen Beweisermittlung und Ausforschung nicht möglich wäre.
- Ein materiell-rechtlicher Anspruch ist zudem erforderlich, der sich in diesen Fällen regelmäßig aus § 809 BGB ergeben wird. Für einen Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB muss aber ein gewisser Grad an Wahrscheinlichkeit einer Rechtsverletzung vorliegen, wobei die Darlegungslast des Anspruchstellers nicht überspannt werden darf.
Man darf es sich hier aber nicht zu einfach machen: So wäre eine (weitere) Beweisaufnahme nur veranlasst, wenn ein Beweisthema hinreichend konkret angegeben wird. Man muss also als Rechteinhaber dazu vortragen, ob und inwieweit die streitgegenständliche Software eine Urheberrechtsverletzung darstellt. Hieran werden Rechteinhaber regelmäßig scheitern, da ihnen die streitgegenständliche Software nicht vorliegt. Jedenfalls, sofern die Beklagten die Rechtsverletzungen bestreiten, wird unklar bleiben, welche Teile der streitgegenständlichen Software ein Sachverständiger im Hinblick auf Übereinstimmungen bzw. urheberrechtlich geschützte Softwareteile überhaupt begutachten sollte.
Rechteinhaber sind wegen der Bestimmungen in §§ 101a UrhG, 809 BGB allerdings nicht rechtlos gestellt: In einem gesonderten Verfahren kann Einblick in die streitgegenständliche Software genommen werden, so dass bei Übereinstimmungen ein gerichtlicher Sachverständiger die Software genau zu diesen konkreten Beweisfragen überprüfen kann:
Denn mit einem gerichtlichen Sachverständigengutachten können nur die von den Parteien behaupteten Tatsachen festgestellt werden (Schneider in: Schneider, Handbuch EDV-Recht, 5. Aufl. 2017, X. IT-Verfahrensrecht, Rn. 101). Tatsachen, die nicht vorgetragen worden sind, dürfen nicht vom Gutachter ermittelt werden:
Der Beweisbeschluss darf sich nur an den vorgetragenen streitigen Tatsachen orientieren. Der Sachverständige ist an den Beweisbeschluss gebunden (Schneider in: Schneider, Handbuch EDV-Recht, 5. Aufl. 2017, X. IT-Verfahrensrecht, Rn. 101). Erforderlich für einen tauglichen Beweisantritt ist daher die genaue Bezeichnung von Beweisthema und Beweismittel (Greger in Zöller, ZPO, 33. Aufl., Vor § 284 Rn. 3-5). Andernfalls liegt unzulässiger Ausforschungsbeweisantritt vor.
OLG HH, 5 U 18/14
BGH zum Besichtigungsrecht von Software
Der BGH (I ZR 90/09) hat sich in einer Entscheidung nochmals zu diesem Besichtigungsrecht von Software geäußert. Hintergrund ist der §809 BGB, der ein Besichtigungsrecht einer Sache einräumt für den Fall, dass ein Anspruch zusteht, in Bezug auf die Sache oder dieser geklärt werden muss:
Wer gegen den Besitzer einer Sache einen Anspruch in Ansehung der Sache hat oder sich Gewissheit verschaffen will, ob ihm ein solcher Anspruch zusteht, kann, wenn die Besichtigung der Sache aus diesem Grunde für ihn von Interesse ist, verlangen, dass der Besitzer ihm die Sache zur Besichtigung vorlegt oder die Besichtigung gestattet.
Der Bundesgerichtshof (I ZR 45/01) hatte schon früher klargestellt, dass im Fall einer vermuteten Rechtsverletzung dem (vermeintlich verletzten) Rechteinhaber ein Besichtigungsrecht besteht – dies auch hinsichtlich des Quellcodes hinter der Software im ausführbaren (Objekt-)Code. Dies hat der Bundesgerichtshof (I ZR 90/09) nunmehr erneut bestätigt und die Rechtsprechung konkretisiert. Wichtig ist, dass nicht jeder (wahllose) Verdacht einer Urheberrechtsverletzung ausreicht, vielmehr bedarf es einer gewissen Wahrscheinlichkeit einer tatsächlichen Urheberrechtsverletzung, die durch konkrete Verdachtsmoment belegt sein muss (BGH, X ZR 18/84).
In der nunmehr aktuellen Entscheidung ging es dabei um die – heute regelmäßig anzutreffende – Konstellation, dass die betreffende Software aus verschiedenen Komponenten bestand und nur Teile der Software der Klägerin übernommen wurden. Die Vorinstanzen sahen dabei das Problem, dass einzelne Komponenten eventuell gar keinen Schutz genießen würden und der Rechteinhaber sollte hierzu erst einmal vortragen. Der BGH stellte hierzu klar, dass der Umstand, dass nicht das gesamte Computerprogramm übernommen wurde, sondern lediglich einzelne Komponenten, keine abweichende Beurteilung rechtfertigt. Dies, mit dem BGH zu Recht, schon alleine, weil selten eine wirkliche 1:1 Übernahme von Code stattfindet und vielmehr häufig kopierter Code angepasst und weiterentwickelt wird:
Einem Anspruch auf Herausgabe des Quellcodes eines Computerprogramms nach § 809 BGB zum Zwecke des Nachweises einer Urheberrechtsverletzung steht nicht entgegen, dass unstreitig nicht das gesamte Computerprogramm übernommen wurde, sondern lediglich einzelne Kompo-nenten und es deswegen nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass gerade die übernommenen Komponenten nicht auf einem individuellen Programmierschaffen desjenigen beruhen, von dem der Kläger seine Ansprüche ableitet.
Natürlich ist es bei einzelnen Komponenten denkbar, dass diese übernommenen Komponenten keinen urheberrechtlichen Schutz genießen und eine urheberrechtlich relevante Verletzungshandlung deshalb abzulehnen wäre. Alleine dass es diese Möglichkeit gibt, soll aber mit dem BGH den Besichtigungsanspruch nicht ausschließen! Denn: „Anderenfalls würde der vom Gesetzgeber in Umsetzung der Richtlinie gewollte Schutz eines Computerprogramms insgesamt unzumutbar erschwert“.
Das heißt, wer greifbare Anhaltspunkte für eine Urheberrechtsverletzung hat – etwa wenn die Übernahme von Softwarekomponenten gar nicht bestritten wird – kann mitunter ein Einsichtsrecht in den gegnerischen Quellcode durchsetzen. Die Anforderungen werden hier nicht zu hoch sein, da der BGH den effektiven Schutz von Software betont – gleichwohl braucht man greifbare Anhaltspunkte.
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