Das OLG Saarland (4 HEs 35/22) sieht – wie das OLG Frankfurt – keine ernsthaften Bedenken hinsichtlich der Verwertbarkeit der im Rahmen des unter falscher Flagge agierenden ANOM-Messengers angefallenen Daten durch die Ermittlungsbehörden. Es weist ausdrücklich darauf hin, dass die Verwertung von Beweisen, die auf die – durchaus zu hinterfragende – Art und Weise im Ausland erhoben wurden, im Strafverfahren gegen den Beschuldigten vom nationalen Verfahrensrecht gedeckt ist.
Grundsätzliches
Das Gericht führt zunächst aus, dass sich die Rechtsgrundlage für die Verwertung der in der Hauptverhandlung gewonnenen Beweise aus § 261 StPO ergebe, und zwar unabhängig davon, ob sie zuvor im Inland oder auf andere Weise – etwa im Wege der Rechtshilfe – erlangt worden seien. Ausdrückliche Verwertungsbeschränkungen für im Wege der Rechtshilfe aus dem Ausland erlangte Daten sieht das deutsche (Strafprozess-)Recht insoweit nicht vor. Allerdings ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Dieser ist aber in der Regel – wie hier – nicht berührt, da zum einen Katalogtaten im Sinne der §§ 161 Abs. 3, 100e Abs. 6 StPO vorliegen werden und zum anderen eine Verwertung von Erkenntnissen aus dem Kernbereich privater Lebensführung aufgrund des Inhalts der gesicherten Kommunikation nicht zu erwarten ist.
Aufgrund des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung (Art. 82 AEUV) lässt ein von den nationalen deutschen Vorschriften abweichendes Verfahren die Verwertbarkeit der im Ausland erhobenen Beweise grundsätzlich unberührt. Die nationalen deutschen Gerichte sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht verpflichtet, die Rechtmäßigkeit von Ermittlungsmaßnahmen, die originär im Ausland, also nicht aufgrund eines deutschen Rechtshilfeersuchens, durchgeführt wurden, anhand der Vorschriften des ausländischen Rechts zu überprüfen. Ob ein Beweisverwertungsverbot vorliegt, bestimmt sich daher ausschließlich nach nationalem Recht.
Ein Beweisverwertungsverbot kann sich dann im Ergebnis mit dem BGH aus drei Gesichtspunkte ergeben: aus rechtshilfespezifischen Gründen, aus dem nationalen Verfassungs- oder Verfahrensrecht sowie aus den Vorgaben der EMRK. Dies sind letztlich die Prüfungspunkte, die deutsche Gerichte bei solchen Beweismitteln zu beachten haben.
Irreführendes Verhalten der Ermittler
Die spannendere und vom OLG verneinte Frage ist schließlich, ob der Verwertbarkeit nicht auch entgegensteht, dass der ANOM-Messenger vom FBI mit dem Ziel entwickelt und verdeckt auf den Markt gebracht wurde, die über den Server des Providers laufende, angeblich Ende-zu-Ende-verschlüsselte Kommunikation aufgrund einer richterlichen Anordnung des bislang nicht näher bezeichneten EU-Mitgliedstaates, in dem der Server steht, zu erfassen und mittels eines bei der Entwicklung beigefügten Masterkeys zu entschlüsseln.
Anhaltspunkte dafür, dass die im Ausland erhobenen Beweise unter Verletzung völkerrechtlich verbindlicher, dem Individualrechtsgüterschutz dienender Garantien, wie etwa Art. 3 oder Art. 6 EMRK, oder unter Verstoß gegen allgemeine rechtsstaatliche Grundsätze im Sinne des ordre public (vgl. § 73 IRG) erlangt wurden oder die Ermittlungshandlung der Umgehung innerstaatlicher Vorschriften diente, sind nicht ersichtlich.
Ein gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK verstoßender und damit ein Verfahrenshindernis begründender Fall der polizeilichen Tatprovokation dürfte deshalb nicht vorliegen, weil die Annahme, allein die Schaffung der Möglichkeit einer abhörsicheren Kommunikation habe den Tatentschluss des Beschuldigten zu den ihm vorgeworfenen Taten hervorgerufen, fern liegt.
Interessant ist, dass das OLG betont, dass der Umstand, dass sich die Datenerhebung gegen alle Nutzer ohne Beschränkung auf bestimmte Zielpersonen und ohne Vorliegen eines konkreten Tatverdachts richtete (also Verdachtsmomente erst ermittelt werden mussten), keinen grundsätzlichen Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze darstellt. Dies kann durchaus anders gesehen werden, da es sich hier um eine verdeckte Totalüberwachung eines staatlich verdeckt agierenden Messengers handelte und das moderne Strafprozessrecht verdachts- und nicht überwachungsbezogen agiert.
Jedenfalls diente das Inverkehrbringen des ANOM-Messengers nicht der Ausspähung der Persönlichkeit der Nutzer durch Eindringen in deren Privat- oder Intimsphäre. Vielmehr war aus Sicht des OLG vorhersehbar, dass die durch die Nutzung ermöglichte vermeintlich abhörsichere Kommunikation, neben der eine normale Nutzung des Mobilfunkgeräts zum Telefonieren und mit Zugang zum Internet nicht mehr möglich war, nahezu ausschließlich im Bereich der organisierten Kriminalität genutzt werden würde. Die deutschen Ermittlungsbehörden hätten auch nicht durch ein planmäßiges Vorgehen zur Umgehung der nationalen Vorschriften zur Kommunikationsüberwachung an der Datenerhebung mitgewirkt, wie das OLG betont.
Auch diese Argumentation überrascht: Zum einen stellt das OLG selbst fest, dass eine ausschließliche Nutzung durch Kriminelle gerade nicht im Raum stand. Zum anderen darf man als Außenstehender nicht verkennen, worauf das OLG nicht eingeht, dass nicht der Messenger an sich, sondern dessen Vermarktung ein wesentliches Element für den Erfolg war. Das FBI soll dabei von einem Szene-Insider unterstützt worden sein, der gezielt eine Vermarktungsstrategie à la Encrochat verfolgt haben soll, was dann durchaus eine faktisch ausschließliche Nutzung durch die organisierte Kriminalität nahelegen kann. Dazu liest man in der Entscheidung des OLG aber leider nichts.
Leider der neue rechtsstaatliche Standard ist der zweite Aspekt: Deutsche Ermittler haben ja nichts getan, also kann man auch einfach das verwenden, was im Ausland unkontrolliert gelaufen ist. Es ist bedauerlich, dass sich ein OLG ins Stammbuch schreiben lassen muss, dass eine Kammer am Landgericht in diesem Punkt deutlich überzeugender argumentieren kann und Nachermittlungsaufträge an die StA als Hausaufgabe erteilt.
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